Wie lang ist zu lang?
Diese Frage kann sich auch im Arbeitsrecht stellen. Der Arbeitgeber will den Arbeitnehmer an sich binden. Er hat lange gesucht, in ihn investiert, der Arbeitnehmer kennt Geschäftsgeheimnisse – den Kundenstamm, Betriebsabläufe, Fertigungsprozesse – und hat Fähigkeiten, die jeder Wettbewerber gerne hätte.
Der Arbeitnehmer ist sich, wenn es schlecht für den Arbeitgeber läuft, seines Werts bewusst. Er hat eine lange Ausbildung hinter sich, er sieht nicht die Förderung durch den Arbeitgeber, sondern vor allem die eigene Einsatzbereitschaft als Grund für seine Entwicklung, er möchte sich weiterentwickeln und kann das dann am besten, wenn er sich nicht zu lange an eine Arbeitsstelle bindet.
Es treffen also – jedenfalls in dieser Beschreibung – zwei Persönlichkeiten aufeinander, die wissen sollten, was gut für sie ist und die in der Lage sein sollten, ihre Interessen in Vertragsverhandlungen zu wahren. Der Vertrag ist das Ergebnis sorgfältiger Abwägungsentscheidungen auf beiden Seiten. Man einigt sich auf eine anfängliche Vertragslaufzeit von fünf Jahren, mit der beiderseitigen Möglichkeit, den Vertrag mit einer Frist von sechs Monaten zum Laufzeitende zu kündigen. Wird nicht gekündigt, verlängert sich der Vertrag jeweils um ein Jahr mit einer Kündigungsfrist von dann sechs Monaten. Der Arbeitnehmer lässt sich außerdem ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot von einem Jahr abringen, erhält hierfür aber ¾ seines letzten Jahresgehalts.
Die Rechtslage scheint eindeutig zu sein. Den Vertrag kann man so schließen. Die §§ 624 BGB und 15 Abs. 5 TzBfG stellen klar, dass Dienst- und Arbeitsverträge bis zu einer Dauer von fünf Jahren auch dann noch in Ordnung sind, wenn nach Ablauf von fünf Jahren mit einer Frist von weiteren sechs Monaten gekündigt werden kann. Die §§ 110 GewO, 74 Abs. 2, 74a Abs. 1 HGB gestatten nachvertragliche Wettbewerbsverbote von bis zu zwei Jahren, wenn für die Dauer des Verbots mindestens 50 % des letzten Gehalts gezahlt werden.
Aber warum so leicht, wenn es auch komplizierter und das Ergebnis vor allem unberechenbar sein kann?
Regelmäßig handelt es sich bei Arbeitsverträgen um allgemeine Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers. Er gibt die Inhalte des Arbeitsvertrags im Wesentlichen vor, weil er sie meist in gleichförmiger Weise mit allen Arbeitnehmern schließt. Ist der Vertrag, genauer: sind die einzelnen Klauseln nicht zur mehrfachen Verwendung bestimmt, sondern werden sie nur einmalig gebraucht, so kann aber wegen § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB dennoch eine Kontrolle von Arbeitsverträgen am Maßstab des AGB-Rechts stattfinden.
Denn Arbeitsverträge sind sogenannte Verbraucherverträge, also Verträge zwischen einer Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (§ 14 BGB – Unternehmer) und einer Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können (§ 13 BGB – Verbraucher). Arbeitgeber sind Unternehmer, Arbeitnehmer sind Verbraucher.
Der Gesetzgeber unterstellt dem Verbraucher eine „strukturelle Unterlegenheit“. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB soll den Verbraucher deshalb auch dann schützen, wenn der Unternehmer – der Arbeitgeber – eine Klausel nur einmal zu verwenden beabsichtigt, der Verbraucher – der Arbeitnehmer – aber wegen der Vorformulierung der Klausel durch den Arbeitgeber auf ihren Inhalt keinen wesentlichen Einfluss nehmen konnte.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind also in aller Regel gefangen in den Klauen des AGB-Rechts, wobei es meist nur ein Gefängnis für den Arbeitgeber ist. Dem Arbeitnehmer schenkt das Gesetz eine „Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte“. Denn mit der Anwendbarkeit des AGB-Rechts tritt die Selbstbestimmtheit der Vertragsparteien in den Hintergrund und das Gesetz unterwirft die Frage, was vereinbart werden durfte, häufig nur schwer zu durchschauenden Überlegungen mit schwer vorhersehbaren Ergebnissen. Liegt ein Verstoß gegen AGB-Recht vor, geht dies zulasten des Arbeitgebers.
Das Einfallstor für diese Überlegungen ist § 307 Abs. 1 BGB:
„Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.“
Bei allen Bemühungen, den unangemessene Benachteiligungen durch die Bildung von Fallgruppen eine Kontur zu geben, bleibt das Kriterium ein Einfallstor für Überraschungen.
Damit wären wir wieder beim Ausgangsfall. Sollten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Klauseln zur Vertragsdauer nicht in der Weise frei ausgehandelt haben, dass der Arbeitnehmer auf ihren Inhalt in gleicher Weise Einfluss nehmen konnte wie der Arbeitgeber, müssen die Vereinbarungen AGB-Recht-konform sein. Sie dürfen den Arbeitnehmer dann nicht unangemessen benachteiligen. In aller Regel handelt es sich – wie gezeigt – bei den Klauseln in Arbeitsverträgen um AGB. Auch im Ausgangsfall lief es im Zweifel so ab, dass der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag vorformulierte und er ihn dem Arbeitnehmer zur Prüfung vorlegte. Eine wesentliche Anpassung der Regeln zur Mindestvertragslaufzeit und zur Kündigungsfrist sowie zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot dürfte aber nicht in Betracht gekommen sein.
Warum könnten die Vereinbarungen aber eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen? Immerhin bewegt sich jede der Vereinbarungen im Rahmen des gesetzlich jeweils Zulässigen.
Hierzu zunächst ein Zitat aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2017:
„In einer Gesamtschau von § 622 V BGB und § 15 IV TzBfG ergibt sich eine gesetzliche Höchstgrenze für die Bindung eines Arbeitnehmers von fünfeinhalb Jahren. Bereits daran wird deutlich, dass die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist für eine Kündigung durch den Arbeitnehmer nicht grenzenlos ist. Art. 12 I 1 GG garantiert neben der freien Wahl des Berufs die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dazu gehört bei abhängig Beschäftigten auch die Wahl des Vertragspartners. Die freie Berufswahl erschöpft sich nicht in der Entscheidung zur Aufnahme eines Berufs. Sie umfasst darüber hinaus die Fortsetzung und Beendigung eines Berufs. Die freie Arbeitsplatzwahl besteht neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch in dem Willen des Einzelnen, die Beschäftigung beizubehalten oder aufzugeben. Die durch das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl begründete Schutzpflicht ist im Begriff der unangemessenen Benachteiligung des § 307 I 1 BGB zu berücksichtigen.“
Der Arbeitnehmer ist also in seinem Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes zu schützen. Dieses Recht umfasst sowohl die Wahl des Arbeitsplatzes als auch und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass jede Verlängerung der Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer über die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB – vier Wochen – hinaus einen Nachteil darstellt, der sich nur dann rechtfertigen lässt, wenn dem Arbeitnehmer im Gegenzug eine Kompensation gewährt wird, die in einem inneren Zusammenhang mit der verlängerten Kündigungsfrist steht. Ein solcher Fall kann etwa vorliegen, wenn die längere Bindung an das Unternehmen und die damit einhergehende Stärkung des Vertrauens in den Arbeitnehmer eine Voraussetzung dafür ist, eine bestimmte Position im Unternehmen erreichen zu können.
Je länger die Mindestvertragslaufzeit oder die Kündigungsfrist sein sollen, desto größer werden jedoch die Anforderungen an die Kompensation. Was das im Einzelnen heißt, ist schwer zu sagen. In jedem Fall heißt es, dass man sich bei der Vertragsgestaltung Mühe geben sollte und die zugrundeliegenden Erwägungen und den inneren Zusammenhang einer verlängerten Kündigungsfrist mit zugleich vertraglich versprochenen Vorteilen offenlegen sollte.
Wegen der §§ 624 BGB und 15 Abs. 5 TzBfG ist aber auch klar: Eine von vornherein vorgesehene (!) längere Bindung als fünfeinhalb Jahre ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Unter der Geltung von AGB-Recht hat ein Verstoß hiergegen aber nicht zur Folge, dass der Arbeitnehmer dann nach fünf Jahren mit einer Frist von einem halben Jahr kündigen kann, wie es die §§ 624 BGB und 15 Abs. 5 TzBfG vorsehen. Diese Vorschriften greifen nur ein, wenn ausnahmsweise keine AGB vorliegen. Vielmehr ist die Vereinbarung über die Vertragslaufzeit und/oder Kündigungsfrist unwirksam, mit der Folge, dass die gesetzlichen Fristen des § 622 BGB gelten.
Vorsicht ist meines Erachtens aber auch bei der Kombination von verlängerten Vertragslaufzeiten / Kündigungsfristen und nachvertraglichen Wettbewerbsverboten geboten.
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg führte hierzu in einem Urteil aus dem Jahr 2019 aus:
„Auch im Zusammenhang mit § 74a Absatz 1 Satz 3 HGB kann eine längere Bindung aufgrund der Kombination von Kündigungsfrist und vereinbartem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot erreicht werden. Die Vereinbarung einer dreimonatigen Kündigungsfrist, Kündigungstermin zum Quartalsende, wäre gerade beim vorliegenden Arbeitsverhältnis unproblematisch möglich gewesen. Es wäre auch möglich gewesen, daran ein zweijähriges vertragliches Wettbewerbsverbot gemäß § 74 Absatz 1 HGB anzuschließen.
Damit wäre eine exakt gleichlange Bindung des Beklagten gegeben gewesen, an deren Rechtmäßigkeit keinerlei Bedenken bestehen können. Diese Bindung hätte ebenfalls die Aufnahme der (Konkurrenz)-Tätigkeit bei der Firma M… verhindert. Die vorliegende Gestaltung bietet für den Arbeitgeber Vorteile bei der Durchsetzung des Wettbewerbsverbotes, die er sich dadurch erkauft, dass er nicht 50 % des Gehaltes, sondern das gesamte Gehalt während der Freistellung bezahlt.
Die Bindungswirkung für den Beklagten ist dieselbe wie bei einer zulässigen Kombination aus Kündigungsfrist und vertraglichem Wettbewerbsverbot gemäß § 74 HGB, er hat aber den Vorteil, vollständige Bezahlung zu erhalten.“
Das Gericht beschreibt damit verlängerte Kündigungsfristen und nachvertragliche Wettbewerbsverbote im Hinblick auf die Bindung des Arbeitnehmers als funktional äquivalent. Unterschiedliche Instrumente bewirken dasselbe Ergebnis. Wenn beide Instrumente aber den Arbeitnehmer in gleicher Weise in seinem Recht beschränken, frei die Arbeitsstätte zu wählen und der Gesetzgeber eine Grenze für solche Beschränkungen bei fünfeinhalb Jahren gezogen hat – wenngleich ausdrücklich nur für Kündigungsfristen –, dann liegt es nahe, dass eine unangemessene Benachteiligung auch dann vorliegt, wenn durch beide Instrumente zusammen die vom Gesetzgeber gezogene Höchstfrist für eine Bindung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber überschritten wird. In welchem Umfang beides unterhalb dieser Grenze miteinander kombiniert werden darf, ist noch einmal eine andere Frage, für die es in der Rechtsprechung bislang – soweit ersichtlich – nicht einmal im Ansatz Antworten zu geben scheint.
Jedenfalls zur Zulässigkeit der ersten Fallgruppe – Kombination von Vertragslaufzeit und nachvertraglichem Wettbewerbsverbot mit einer Gesamtbindung von über fünfeinhalb Jahren – könnte es aber demnächst eine Entscheidung geben. Derzeit vertreten wir einen Arzt, der seine Praxis an den Betreiber eines medizinischen Versorgungszentrums verkaufte und sich im Anschluss dort anstellen ließ. Der Arbeitsvertrag sieht eine Mindestlaufzeit von fünf Jahren und ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot von zwei Jahren vor. Wir argumentieren, dies sei aus den genannten Gründen unzulässig; der Arzt könne den Arbeitgeber sofort verlassen. Ein Urteil könnte schon im Oktober ergehen. Wie es ausgeht, werden wir hier berichten.
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