Nils Schmidt

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26. November 2023


Leitend oder nichtleitend? Teil 2

Leitend oder nichtleitend? Teil 2

5 Abs. 4 BetrVG: Die Zweifelsregelung

§ 5 Abs. 4 BetrVG hat lediglich Hilfsfunktion bei der Abgrenzung des Begriffs „Leitende(r) Angestellte(r)“. Es sind selbst weder Tatbestandsmerkmale der/des leitenden Angestellten noch Regelbeispiele zu Abs. 3 enthalten. Die Bestimmung will die Gerichte nicht von der Pflicht zur Feststellung der für die Zuordnung maßgeblichen Tatsachen entbinden, sondern Orientierungshilfe bei der Rechtsanwendung bieten. Es handelt sich nicht um eine Auslegungsregel, da die hier aufgeführten Tatbestände mangels Vergleichbarkeit keine Anhaltspunkte für die Definition der Tatbestandsmerkmale von Abs. 3 bieten. § 5 Abs. 4 ist erst anzuwenden, wenn trotz ausreichender Sachverhaltsfeststellung erhebliche rechtliche Zweifel an der Auslegung und Anwendung des Abs. 3 S. 2 Nr. 3 bleiben. Die Zweifel sind erheblich, wenn nach Ausschöpfen aller Auslegungsgrundsätze mindestens zwei Auslegungsergebnisse vertretbar sind. Diese Voraussetzungen gelten auch für die Wahlvorstände, die eine Zuordnung vornehmen müssen. Ob rechtlich erhebliche Zweifel vorlagen, die den Rückgriff auf Abs. 4 erlaubten, ist eine Rechtsfrage, bei der kein Beurteilungsspielraum besteht und die von den Arbeitsgerichten voll nach-geprüft werden kann.

Die Vorschrift des Abs. 4 soll den Gerichten und innerbetrieblichen Rechtsanwendern (Arbeitgeber, Betriebsrat, Sprecherausschuss, Wahlvorstände, Vermittler nach § 18a BetrVG) bei der Anwendung des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG lediglich als Orientierungshilfe in Grenzfällen dienen (vgl. ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 23).

Eine Anwendung des Abs. 4 kommt erst dann in Betracht, wenn nach vollständiger Ermittlung des Sachverhalts erhebliche rechtliche Zweifel an der Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 BetrVG bleiben (vgl. ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 23).

Nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten und unter Anwendung aller Auslegungsgrundsätze müssen zwei Auslegungsergebnisse vorliegen, die rechtlich in gleicher Weise vertretbar sind (vgl. ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 23).

Eine leichtere Handhabung formeller Merkmale rechtfertigt die Anwendung des Abs. 4 nicht, da hierdurch in unzulässiger Weise der Grundtatbestand des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG verdrängt würde.

1. Bisherige Zuordnung

Ausschlaggebend ist jeweils die letzte Wahl. Es kommt allein auf die positive Zuordnung an. Beide Wahlvorstände müssen den Angestellten übereinstimmend als leiten-den Angestellten angesehen haben, oder der Betriebsrat muss den Angestellten bei der letzten Betriebsratswahl nicht in die Wählerliste aufgenommen haben. Auch die Zuordnung bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer hat Indizwirkung. Da-bei ist zu beachten, dass nach den Wahlordnungen zum MitbestG die Zuordnung auch von der Selbsteinschätzung des Arbeitnehmers abhängen kann (§ 10 1. WO MitbestG; § 10 2. WO MitbestG; § 11 3. WO MitbestG).

2. Leitungsebene

§ 5 IV Nr. 2 meint die Leitungsebene i.S.d. hierarchischen Ebene im Unternehmen, wo-bei der vom Unternehmer aufgestellte Organisationsplan als Prüfungsgrundlage dient. Entscheidend ist, ob die derselben Ebene zuzuordnenden Angestellten als leitende Angestellte i.S.d. Grundtatbestands zu qualifizieren sind. Überwiegend vertreten heißt zu mehr als 50%. Dabei sind nur solche Angestellten zu berücksichtigen, deren Status als leitende Angestellte zwischen den Beteiligten unstreitig ist oder feststeht.

3. Vergütung

Nach § 5 IV Nr. 3 ist das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt – siehe § 14 SGB IV maßgeblich, das im konkreten Unternehmen für leitende Angestellte üblich ist. Einbezogen sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen einschließlich Tantiemen, Gratifikationen und Sachbezügen. Ausgenommen sind nur einmalige Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch für die Zukunft besteht.

Auch in diesem Zusammenhang sind nur solche leitenden Angestellten zu berücksichtigen, deren Status feststeht oder unstreitig ist. Üblich bedeutet nicht durchschnittlich, sondern lediglich, dass Abweichungen nach oben oder nach unten auf Grund besonderer Faktoren wie höheren Lebensalters, Betriebszugehörigkeit und ähnliches nicht zu berücksichtigen sind. Im gerichtlichen Verfahren muss der Arbeitgeber, wenn es für die Statusbeurteilung darauf ankommt, über die Höhe, der an die leitenden Angestellten gezahlten Vergütung, konkret Auskunft erteilen. Zur namentlichen Benennung ist er nicht gehalten, wenn nicht ausnahmsweise die Namensnennung zur Ermittlung des üblichen Gehalts erforderlich ist.

4. Bezugsgröße

Die dreifache Bezugsgröße beträgt im Jahr 2019 in den alten Bundesländern und West-Berlin 112 140 €, in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin 103 320 €. Der Rückgriff auf Nr. 4 ist unzulässig, wenn nur Zweifel über das Bestehen des Grundtatbestands des § 5 III S. 2 Nr. 3 vorliegen oder das Fehlen der Voraussetzungen des § 5 IV Nr. 3 fest-steht. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist daher gering.

Zusammenfassung

Für den Status als Leitenden Angestellten kommt es zwingend auf die drei Kriterien des  § 5 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 an.

  • selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis
  • Generalvollmacht oder Prokura, die im Innenverhältnis nicht unbedeutend ist
  • Wahrnehmung von Aufgaben, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt und Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen treffen oder sie maßgeblich beeinflussen

Die Voraussetzungen müssen nicht kumulativ vorliegen, sondern es reicht aus, wenn ein Kriterium erfüllt ist.

Die Zweifelsregelung des § 5 Abs. 4 BetrVG mit den dortigen Kriterien ist nur dann an-zuwenden, wenn tatsächliche Zweifel vorliegen, ob ein Arbeitnehmer die Vorausset-zungen des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG erfüllt oder nicht. Hierzu müssen zwei Möglichkeiten klar vorliegen. Liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG bereits nicht vor bzw. werden diese verneint, kommt die Auslegungsregel des § 5 Abs. 4 BetrVG nicht zur Anwendung und der Arbeitnehmer ist kein Leitender Angestellter im Sinne des § 5 BetrVG.

Nils Schmidt26. November 202368 Views |0 comments

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