Arbeitnehmerin will unzumutbares Arbeitsverhältnis auflösen lassen

Arbeitnehmerin will unzumutbares Arbeitsverhältnis auflösen lassen

LAG Köln v. 09.07.2025 – 4 SLa 97/25

Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem besonders gravierenden Fall sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ein deutliches Zeichen gesetzt: Eine Arbeitnehmerin, die von ihrem Geschäftsführer wiederholt sexuell belästigt, beleidigt und schließlich gekündigt wurde, erhält eine Abfindung in Höhe von knapp 70.000 Euro. Die Klägerin war seit 2019 in einem Bonner Unternehmen beschäftigt. Im Februar 2024 forderte der Geschäftsführer sie per WhatsApp auf, bei einem Kundentermin High Heels, einen kurzen Rock und ein Oberteil mit Dekolleté zu tragen. Als die Mitarbeiterin dies ablehnte, wurde sie zunächst vom Meeting ausgeladen und im Anschluss massiv beleidigt. Kurz darauf folgte ein widersprüchlicher Versuch der Wiedergutmachung, indem der Geschäftsführer ihr einen Blumenstrauß samt Einladung in eine Therme überreichte. Auch dieses Ansinnen wies die Arbeitnehmerin zurück, wenige Tage später erhielt sie die Kündigung.

Vor Gericht beantragte die Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung und zugleich die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Das LAG Köln gab ihr Recht: Die Kündigung war unwirksam und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des massiven Fehlverhaltens des Arbeitgebers unzumutbar. Rechtsgrundlage der Entscheidung war § 9 Kündigungsschutzgesetz, der eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ermöglicht, wenn die weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann. Zudem verwiesen die Richterinnen und Richter auf die Schutzrechte des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, das Betroffenen von sexueller Belästigung unter anderem Beschwerde-, Leistungsverweigerungs- sowie Entschädigungsansprüche einräumt.

Besonders bemerkenswert ist die Höhe der zugesprochenen Abfindung. Üblicherweise liegt diese bei einem halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Im vorliegenden Fall entschied das Gericht jedoch auf das Vierfache, also zwei Monatsgehälter pro Jahr, sodass sich für die 4,4 Jahre Beschäftigungszeit eine Summe von knapp 70.000 Euro ergab. Ausschlaggebend war, dass die Abfindung mehrere Funktionen erfüllen müsse: Sie dient dem Ausgleich des Arbeitsplatzverlustes, hat eine Sanktionswirkung zur Vermeidung künftigen Fehlverhaltens und erfüllt eine Genugtuungsfunktion für das Opfer. Neben der offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung wertete das Gericht auch die grobe Sozialwidrigkeit und die erhebliche Erniedrigung der Klägerin.

Das Urteil sendet eine klare Botschaft: Betroffene von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind nicht schutzlos. Sowohl das AGG als auch das Kündigungsschutzgesetz bieten ihnen effektive Rechtsmittel. Gleichzeitig zeigt die Entscheidung, dass Gerichte bereit sind, ihre Spielräume zu nutzen, um Arbeitgeber spürbar zu sanktionieren und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine angemessene finanzielle Entschädigung zuzusprechen.