Jurastudent erstreitet 100.000 Euro Entschädigung

Jurastudent erstreitet 100.000 Euro Entschädigung

LAG München v. 16.04.2025 u. v. 04.06.2025, Az. 11 Sa 456/23

Mit einem vielbeachteten Urteil hat das Landesarbeitsgericht (LAG) München (Teilurteil vom 16.04.2025, Schlussurteil vom 04.06.2025, Az. 11 Sa 456/23) einem Jurastudenten weitgehend Recht gegeben, der nach einer fristlosen Kündigung durch seinen Arbeitgeber Klage erhoben hatte. Der Fall hatte arbeitsrechtlich, datenschutzrechtlich und diskriminierungsrechtlich erhebliche Relevanz und wurde aufgrund seines Umfangs sowie der Vielzahl an Anträgen (insgesamt 36) als besonders bemerkenswert eingestuft.

Der Student war als Kellner geringfügig beschäftigt und hatte sich für die Gründung eines Betriebsrats engagiert. Nachdem eine Wahlversammlung gescheitert war, wurde er monatelang nicht mehr zur Arbeit eingeteilt. Als er Annahmeverzugslohn verlangte, wollte der Arbeitgeber ihn wieder beschäftigen jedoch nicht wie zuvor im Service, sondern ausschließlich in der Küche. Der Student lehnte ab, woraufhin ihm wegen angeblicher Arbeitsverweigerung fristlos gekündigt wurde.

Das LAG stellte fest, dass die Kündigung in Wahrheit eine Reaktion auf die betriebsverfassungsrechtlichen Aktivitäten des Studenten gewesen sei. Die Umverteilung in die Küche habe lediglich dazu gedient, Druck aufzubauen oder eine Kündigung zu provozieren. Der zeitliche Zusammenhang sei zwar nicht unmittelbar, aber die monatelange Nichteinteilung des Studenten seit Mitte 2021 sei eine unmittelbare Folge seiner Betriebsratsinitiative gewesen.

Besonders problematisch war nach Ansicht des Gerichts die Argumentation der Beklagten im Kündigungsschutzprozess. Diese hatte sich unter anderem auf das Alter (24 Jahre), die Teilzeitstellung und die fehlenden Unterhaltspflichten des Studenten berufen was das LAG als altersdiskriminierend wertete. Infolge dieser herabwürdigenden Äußerungen verurteilte das Gericht den Arbeitgeber zur schriftlichen Entschuldigung eine seltene Form der „Naturalrestitution“ im Arbeitsrecht, die der EuGH 2024 ausdrücklich als zulässig einstufte.

Das LAG sprach dem Studenten Verdienstausfall, entgangene Trinkgelder, Sachbezugswerte für Speisen und Getränke, Waschkosten, Überstundenvergütung sowie Annahmeverzugslohn zu. Besonders hervorzuheben:

  • Trinkgelder gelten als entgangener Gewinn im Sinne von § 252 BGB. Das LAG schätzte den Betrag auf 100 pro Schicht ein wegweisendes Urteil, da es hierzu bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung gab.
  • Vergünstigte Speisen und Getränke galten als Naturallohn und mussten ebenfalls ersetzt werden.
  • Die Praxis, pauschal 2 pro Schicht als Gläsergeld vom Lohn einzubehalten, obwohl kein Glas zerbrochen war, wurde als unzulässig eingestuft.
  • Waschkosten für Arbeitskleidung seien bei hygienepflichtigen Tätigkeiten vom Arbeitgeber zu übernehmen.
  • Überstunden hatte der Student mithilfe von Dienstplänen schlüssig belegt – die Beweislast für gegenteilige Behauptungen lag beim Arbeitgeber.
  • Ein Arbeitsangebot war nicht erforderlich (§ 296 BGB), da die Schichteinteilung vollständig beim Arbeitgeber lag. Das LAG widersprach damit ausdrücklich der restriktiveren Linie des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 18.10.2023 – 5 AZR 22/23).

Das LAG bejahte eine persönliche Haftung des Geschäftsführers für den entstandenen Schaden. Die Haftungsprivilegierung einer GmbH könne nicht greifen, da der Geschäftsführer vorsätzlich gegen Schutzgesetze verstoßen habe – insbesondere durch die Verhinderung betriebsverfassungsrechtlicher Mitwirkung.

Auch die nachträgliche Parteierweiterung in der Berufungsinstanz wurde als zulässig angesehen. Der Geschäftsführer sei in das Verfahren inhaltlich eingebunden gewesen und müsse die unterbliebene Parteistellung in erster Instanz hinnehmen, da sich der Sachverhalt nicht verändert habe.

Anspruch auf sechs Monate Urlaub

Ein weiteres zentrales Element war der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub über sechs Monate. Da der Arbeitgeber den Studenten niemals auf seine Urlaubsmöglichkeiten hingewiesen hatte, konnte der Anspruch gemäß der EuGH-Rechtsprechung weder verfallen noch verjähren (EuGH Max-Planck, Urt. v. 06.11.2018 – C-684/16). Das LAG stellte daher fest, dass dem Kläger 29 zusammenhängende Wochen (72 Tage) bezahlter Urlaub zustehen.

Fazit

Das Urteil des LAG München ist ein Signal für den Schutz von Arbeitnehmerrechten, insbesondere bei der Gründung von Betriebsräten. Es bestätigt, dass Diskriminierung und Repressalien im Zusammenhang mit der betrieblichen Mitbestimmung nicht nur arbeitsrechtlich unzulässig, sondern auch schadensersatzpflichtig sind. Auch der seltene Ausspruch einer gerichtlichen Entschuldigung und die Durchgriffshaftung auf Geschäftsführerebene machen das Urteil zu einem grundsatzrelevanten Präzedenzfall mit weitreichender Bedeutung für vergleichbare Konstellationen im Arbeitsrecht.