Unwirksame Kündigung eines freigestellten Juristen wegen anwaltlicher Nebentätigkeit – Kein Loyalitätsverstoß bei fehlender Pflichtverletzung
LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 12.8.2024 – 5 SLa 128/24
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden: Eine anwaltliche Nebentätigkeit eines langjährig freigestellten Mitarbeiters rechtfertigt weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung selbst dann nicht, wenn in Einzelfällen Mandate gegen den früheren Arbeitgeber bearbeitet wurden. Ausschlaggebend ist, ob die Tätigkeit tatsächlich die Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt hat und das war hier nicht der Fall.
Ein Volljurist war seit 2007 bei einem Universitätsklinikum als Personaldezernent beschäftigt. Nachdem der Versuch einer Änderungskündigung im Jahr 2018 scheiterte, stellte ihn das Klinikum vollständig frei und erteilte ihm Hausverbot mit wenigen Ausnahmen. Arbeitsleistungen musste der Jurist seither nicht mehr erbringen.
2022 nahm er seine Zulassung als Rechtsanwalt wieder auf und gründete eine Kanzlei. Er informierte den Arbeitgeber über die Kanzleigründung und erklärte, sich aus arbeitsrechtlichen Mandaten gegen das Klinikum herauszuhalten. Dennoch wurde im Jahr 2023 ein Schreiben im Namen eines Mitarbeiters des Klinikums an die Geschäftsführung gesendet, das vom Kanzleipartner unterzeichnet, aber mit dem Namenskürzel des Juristen versehen war.
Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin außerordentlich, hilfsweise ordentlich wegen eines vermeintlichen Loyalitätsverstoßes. Sie warf dem Kläger vor, im Hintergrund anwaltlich gegen sie tätig geworden zu sein. Eine vorherige Abmahnung hatte nicht stattgefunden.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern erklärten die Kündigungen für unwirksam.
Kein Kündigungsgrund nach § 626 BGB oder § 1 KSchG
- Keine erhebliche Pflichtverletzung: Auch wenn eine Mitwirkung an Mandaten gegen den Arbeitgeber grundsätzlich problematisch sein kann, war hier keine schwerwiegende Pflichtverletzung erkennbar. Der Kläger war seit fast fünf Jahren vollständig freigestellt und hatte keinerlei Zugriff mehr auf interne Informationen oder Entscheidungsträger.
- Keine Wettbewerbstätigkeit: Die Tätigkeit in der Kanzlei stellte keine unzulässige Konkurrenztätigkeit dar es lag kein Wettbewerb im Sinne des § 60 HGB vor.
- Keine konkrete Beeinträchtigung der Arbeitgeberinteressen: Selbst, wenn der Kläger im Hintergrund beratend tätig gewesen sein sollte, wurde weder ein Missbrauch vertraulicher Informationen noch eine erhebliche Schädigung des Arbeitgebers dargelegt.
- Fehlende Abmahnung: Selbst, wenn man eine Pflichtverletzung angenommen hätte, hätte es einer vorherigen Abmahnung bedurft. Ein derart schwerwiegender Vertrauensbruch, der eine sofortige Kündigung rechtfertigt, lag nicht vor.
Fazit
Das Urteil verdeutlicht, dass nicht jede Nebentätigkeit automatisch zu einem Kündigungsgrund wird – insbesondere dann nicht, wenn ein Mitarbeiter seit Jahren vollständig freigestellt ist. Auch bei Tätigkeiten, die auf den ersten Blick kritisch erscheinen mögen, sind die konkreten Umstände und tatsächlichen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis entscheidend. Arbeitgeber müssen nachweisen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt und in aller Regel vor einer Kündigung auch eine Abmahnung aussprechen.